Sonntag, 1. Juni 2014

Sonntagsthema: Von der Höhle zum Tablet

Geschichten sind das Salz der Erde


Ein heimeliges Bild - Mütter, Väter, die abends ihren Kids mit Vorlesen das Zubettgehen schmackhafter machen wollen - wird das überhaupt noch praktiziert? Haben Eltern noch Zeit und Muße dafür, sind Kinder zu diesem Zeitpunkt nicht längst gesättigt von Fernsehen, Spielkonsole, Kinder-PC und -Tablet? Von SMS, Whatsapp, Hörbuch, Skype, eBook, I-Pod, MP3-Player oder den Werbe- und Markenbotschaften, denen sie in der Straßenbahn, im Auto, ganz nebenbei im Pausenhof ausgesetzt sind?

Das kann man beklagen, muss es aber nicht - denn sich gegen eine Entwicklung zu stemmen, die längst Tatsachen geschaffen hat, bringt nix. Besser sie einfach akzeptieren und darauf achten, dass die Qualität der neuen Kommunikationsformen das ausgleicht, was sie vielleicht an archaisch gültiger Wertigkeit vermissen lassen.

Als Kind habe ich z.B. begeistert Radiowerbung nachgeplappert - die ganze Familie freute sich, wenn ich die biederen Slogans von "Bärenmarke" oder "Burghof Kaffee" von mir gab. Vermutlich hat mich das genauso geprägt wie "Mecki im Schlaraffenland", "Witwe Bolte" oder die sehr frühe Lektüre von Alexandre Dumas' "Graf von Monte Christo". Allesamt anerkannt gute Literatur, jedes auf seine Weise. Soll das also heißen - egal was wir rezipieren - nicht die der Zeit angepasste Form ist entscheidend, sondern der innere Kern, der die Jahrhunderte überdauernde Qualitätsfaktor? - Ja, das soll es. Zumindest aus meiner Warte.


Was trieben Lucy und Luke so am Abend?



Die Menschheitsgeschichte ist lang, man kann heute nur vermuten, wann sich Sprache herausbildete und wann die ersten um ein abendliches Feuer herum saßen und sich gegenseitig mit  Geschichten die Zeit vertrieben. Vielleicht auch um sich gegenseitig Mut zu machen für das unzweifelhaft schwere Dasein. (Aber war ihnen bewusst, dass es schwer war? Sie kannten ja kein anderes

Was ihnen tagsüber widerfuhr, wie die Jagd auf den Mammut endete, ob sich die Beute sicher nachhause bringen ließ und wie schön es war, ihn gemeinsam mit der ganzen Rotte auszulegen, zu braten und zu verzehren. Und das jeder satt wurde - ein damals nicht alltäglicher Zustand. Tradiert wurde es mündlich. Entstanden die ersten Höhlenmalereien auch aus einem Drang zu dokumentieren - unbewusst- bewusst - wer weiß das schon..

Moderne Mythen


Im Grunde hat sich daran nichts geändert. In der fiktional-medialen Welt geht es um die Mythen des Alltags, spannend erzählt in immer neuer Ausprägung. Es geht um die Grundbedürfnisse der Menschen, Werte, Gefühle, die immer eine Rolle spielen werden: Liebe, Hass, Zorn, Vertrauen, Neid, Wut, Groll, Rachsucht, Verzweiflung, Trauer .. nicht zu vergessen die Zwischentöne zwischen Rosenrot und Rabenschwarz, Morgenröte und Mitternacht. 

"Die Welt konsumiert heute Filme, Romane, Theater und Fernsehen in solchen Mengen und mit solch einem Heißhunger, dass die Kunst des Erzählens zur Hauptinspirationsquelle der Menschheit geworden ist bei ihrem Versuch, das Chaos zu ordnen und Einblick in das Leben zu gewinnen." Das sagte Robert McKee - einer der Väter des Drehbuchschreibens vor etwa 30 Jahren. Seine Schüler schrieben Filmbücher zu "Pretty Woman", "Truman Show" oder "Philadelphia".

Qualität schlägt Masse


Was für die Fiktion (Film, Roman, Shortstory, Science Fiction u.a.) gilt, hat auch für den Gebrauchtstext Bedeutung. Gebrauchstext verwende ich beileibe nicht abwertend, er bezeichnet Textformate, die als strategisches Kommunikationselement eine gewisse Funktion, ein Ziel haben und eine bestimmte Wirkung erzeugen sollen. Sie sollen (möglichst konkret messbar) etwas verändern. Webtexte, Pressetexte, Magazintexte, Ratgebertexte, Plots und Storyboards für Video und Podcast, Kampagnen, die auf PR-Storytelling (und nicht auf Manipulation) beruhen, sind einer gewissen Kurzlebigkeit unterworfen, denn zu ihren unbestrittenen Vorzügen gehören Aktualität und Novität.  Beides ist rasch verweht.

Sind sie aber inhaltlich stringent, technisch gut gemacht sind, bauen sie auf einer klassischen Dramaturgie auf, die zeitlos und immer gültig ist, Spannung und Empathie erzeugt und riechen sie auch im neuen Gewand nach Leidenschaft und Höhlenfeuer, dann stellt dieses neue Genre, genau wie die archaischen Höhlenmalereien es taten, ein Abbild der Zeit dar, das diese überdauern wird. 

Nicht mehr, aber auch nicht weniger.



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