Mozart auf Hallig Dömstrüttel
Radiointerview der anderen Art
Jetzt im Ruhestand erinnere ich mich gerne
mal an meine Sternstunden als Radioreporter beim Lokalfunk in Vorderoeelde-Ost,
Ostostwestfalen. Ja, glauben Sie nur nicht, dass mein Leben, so bescheiden es
sich von außen auch ausnimmt, ohne Glanzlichter gewesen sei.
Anfang der
90er, letztes Jahrhundert versteht sich, da jährte sich zum 200. Mal der
Todestag eines unserer ganz Großen. Gut, er war Österreicher, aber das war ja damals noch irgendwie eins. Natürlich wollten auch wir dieses Top-Thema am Sonntag bringen, zwischen Morgenandacht und
Mittagsmesse, bester Sendeplatz, noch vor dem Wochenmarkt, dem zentralen Ereignis in Vorderoelde-Ost, das wir regelmäßig
aufzeichneten. Das war Oostwestfalen pur - wenn sich die gutturalen Laute der rotköpfigen Bauern mit
dem Gackern des Federviehs und dem Muhen der sanftäugigen Rotbunten mischten.
Sie sehen, wir haben der Sache eine gewisse Bedeutung zugemessen!
Na, hören Sie selbst ..
Mozarts Chlavichord - unbenutzbar bei seinem Hallig-Aufenthalt ? |
„Verehrte Hörerinnen und Hörer, zum 200. Todestag eines genialen deutschen Tonschöpfers haben wir keine Mühen gescheut, um dies für Sie zu einer veritablen Feierstunde zu machen. Wir freuen uns ganz besonders“ – und hier überschlug sich meine Stimme vor Aufregung – „dass wir heute einen der ganz seltenen, ja ganz sicherlich den einzigen noch lebenden Zeitzeugen des großen Mannes zu uns ins Studio holen konnten. Opa Sönke Jepsen aus Klein-Tönisveert im Oostostwestfälischen. Sie waren in den ersten 120 Jahren ihres Lebens Landwirt auf der Hallig Dömstrüttel, erzählte uns Ihre Ururenkelin?“ - Der winzige, einer Trockenpflaume nicht unähnliche Mann, der schon geraume Zeit in sich gekehrt neben mir gestanden hatte, wurde urplötzlich munter, riss das Mikrofon an sich und pustete hinein: „Joo, das iss wahr. Die Line, das junge Ding, hat schon recht.“ Das junge Ding war an die 77, Opa Jepsen selbst musste so auf die 225 zusteuern, ganz genau wusste das keiner, er selbst wohl am allerwenigsten.
„Opa Jepsen,
Sie haben Wolfgang Amadeus Mozart“ – und es kratzte mich geradezu im Hals – „richtig
persönlich gekannt? Erzählen Sie mal! Unsere Zuhörer sind ja schon ganz aus dem
Häuschen.“ Jepsen griff sich wieder das Mikro: “Joo, was soll ich Ihnen sagen?
Eines Tages landete auf Dömstrüttel ein Schiff von Osten an, es musste wohl
lange unterwegs gewesen sein, denn die paar Leute, die ausstiegen, waren völlig
fertig. Da waren wohl auch ein paar von ihnen unterwegs hops gegangen. Cholera
oder so. Na egal. Der Rest war auch ganz transusig, einen jungen Mann hatte es
schlimm erwischt. Seine Seidenhöschen waren verschlissen, das Spitzenjabot
zerfleddert, und ein ums andere Mal jammerte er über seine vermaledeite Perücke, in der die Bordmäuse hausten.“ Hier kicherte der kleine Mann hektisch vor sich
hin. „Also, seine Laune war echt schietig. Er machte viel Aufhebens wegen seiner Violine, er
spielte wohl ab und zu mal zum Tanz auf, die feuchte Seeluft hatte sie aufgeweicht und das Chlavichord hatte eine schwere Welle ramponiert.“
An dieser Stelle griff ich mir Opa Jepsen, weil ein böser Schluckauf seinen eingefallenen Brustkorb ordentlich durchschüttelte wie eine Orkanböe aus Nordwest. Ich klopfte ihm auf den Rücken, klang ganz hohl, und flößte ihm Wasser ein. Während dessen schob mein Assistent ganz gewitzt das Intermezzo aus „Figaros Hochzeit“ dazwischen.
Halligidylle?? Wohl eher Südsee. |
Als die blaue Färbung aus seinem Gesicht gewichen war, fuhr Opa Jepsen fort: „Puder für die Perücken war ihnen ausgegangen, kaum noch Proviant, ein paar Pralinen, die sie uns gleich als Gastgeschenk angeboten hatten und so'n Pulver, das sie Schokolade nannten. Wir machten uns ja nicht so viel aus Zuckerzeug ... gab‘s bei uns eigentlich nur für die Weiberleut im Kindbett. Die meisten kamen beim Pastor unter. Den Geiger packte ich bei mir auf den Heuboden, da war er vor Flutwellen erst mal sicher. Gut, durchs Reetdach pfiff der Wind, na ja. Den plagte ein böser Magenkatarrh.“
Hier hakte ich ein: „Sagen Sie, Opa Jepsen, wie kommt‘s dass Sie sich an all
das noch so gut erinnern können?“ - „Ja, war ja jung damals“, nuschelte er
durch die beiden ihm verbliebenen Vorderzähne, „prägt sich schon ein, außerdem
hab ich ein fotografisches Gedächtnis, sagt Line immer, das junge Ding, die
vergisst jetzt schon mal, wo die Schlüssel liegen.“ „Na ja“, stotterte ich,
„mit 77 kann man schon mal etwas tüttelig werden..“ „Unsinn“, wies mich Jepsen
zurecht und guckte richtig ungnädig.
Ich beeilte
mich, ihn aufs Thema zurückzuführen. „Was war denn jetzt mit dem Herrn Mozart?“ Opa
Jepsen spitzte die Lippen, als ob er pfeifen wollte. „Ja, der war da, um sich
in der Nordseeluft zu kurieren, sein Arzt hatte ihm ‚ne Kur empfohlen,
eigentlich wollten die ja nach Madeira, aber die Kasse knauserte, und bei uns
stimmten die Preise ja noch. - Mit dem jungen Herrn Moozard war nicht viel los,
er schlotterte immerzu vor Kälte, schrie nach Rotwein und Tabak, fraß alle
Pralinen auf und wurde sehr krakelig, als das Wetter sich nicht änderte.“ Bevor
Opa Jepsen sich allzu lange beim Wetter aufhalten konnte wollte ich wissen:
„Hat er sich denn mit den Leuten unterhalten?“ - „Nee.“ Konterte er. „Der kam
ja kaum aus der Stube. Nur die Berte, meine Alte, die war die einzige, mit der
er mal sprach. Ja, ich weiß ja auch nicht, was die so zu schnacken hatten? Das
war immer ein Gekichere und Geschäkere im Heu, sag ich Ihnen, die Wirtschaft
litt darunter ganz schön, weil die Berte gar nicht mehr nachkam mit Kehren und
Putzen. Sie hatte ja nur noch mit dem jungen Herrn Moozard zu tun. Seine
Perücke bürsten, die Wäsche ausbessern, den zerrissenen Hosenlatz stärken. Joo,
was sollte ich machen? Ich sah die Berte kaum noch.“ Der Opa guckte verstimmt.
Land unter vor der Freiheitsstatue |
„Aber dann
..“ fuhr der schnurrige kleine Alte fort, „als eines Tages, muss so zwei, drei Monate nach der Ankunft der Fremden gewesen sein, das Postschiff aus Emden kam,
das kam so zweimal im Jahr, da war der plötzlich wieder wech. Wie‘ n Blitz.
Einfach so. Was sacht man dazu? So’ne Eile, das kannten wir so gar nich.“ - Ich
hakte nach: „So über Nacht? Ohne Abschied?“ - „Joo, genau. Na, ja war auch
besser so. Das war ja kein Auskommen mehr mit der Berte.“ - „Ja, Bauer Jepsen,
das war ja schade. Hat der Herr Mozart denn mal Musik gemacht?“ - „Nee, das
konnte er ja nich, die Geige war hin. Und wir hatten ja nix, nur auf dem
Kamm hat er mal geblasen.“ Opa Jepsen guckte trübe. Ich tröstete: „Ja, schön,
dann hatten Sie ja doch mal eine Kostprobe von seinem großen Können?“ - „Joo,
wenn man so will.. Aber gefallen hat das bei uns keinem.“
Ich merkte,
der Opa schlaffte jetzt doch ganz schön ab und steuerte das Ende an: „Bauer Jepsen,
eine letzte Frage: Wie kommt es denn, da bin ich jetzt einfach ein bisschen
neugierig, also wie kamen Sie denn doch noch zu Familie, wo Sie doch..“ ich
zwinkerte ihm zu, „na ja, Sie wissen schon. Ist es denn danach doch noch zu
einer Annäherung zwischen ihnen und der Berte gekommen?“ - Opa Jepsen zierte
sich ein bisschen und kratzte sich am Kinn. „Joo, nee, das war komisch, so‚n
gutes halbes Jahr danach ist meine Berte niedergekommen, mit einem Sohn, ich
weiß auch nicht wie, der Pastor meinte, es gäbe ja immer mal wieder eine
Eingebung des Heiligen Geistes, und der kam wohl über sie. Der hat dann später
das Chlavichord repariert..“ -
Ich beeilte mich, dem nichts mehr folgen zu lassen als: „Na, auf der Hallig hat die Natur eben ihren eigenen Rhythmus“ und nahm Opa Jepsen nun endgültig das Mikro aus der Hand. Der war jetzt auch schon ziemlich rammdösig.
Ich beeilte mich, dem nichts mehr folgen zu lassen als: „Na, auf der Hallig hat die Natur eben ihren eigenen Rhythmus“ und nahm Opa Jepsen nun endgültig das Mikro aus der Hand. Der war jetzt auch schon ziemlich rammdösig.
Obwohl ich
von einem Ohr zum anderen grinste, kriegte ich noch den Abspann ganz sauber
hin: „Meine verehrten Hörerinnen und Hörer, damit wollen wir diesen sensationellen Augenzeugenbericht beschließen, Wolfgang Amadeus Mozart, der geniale Tonschöpfer,
einmal ganz anders gesehen, als Kurgast auf einem lütten, von den Menschen und
Gott beinahe vergessenen Eiland, mitten in der brausenden See, von Welle und
Sturm gepeitscht, ein Mann, der den Gezeiten trotzte und bleibende ..äh.. lebendige
Erinnerungen hinterließ. - Doch nun
zurück zur Morgenandacht.“
Sie werden
nun denken, Bauer Jepsen war wohl ein ausgemachter Trottel. Ich neige eher
dazu, ihn für einen ausgemacht schlauen Kopf zu halten, der sich das Leben eben
nicht unnötig erschweren wollte. Gleichmütig nennt man das wohl und das ist mehr als viele Heutige schaffen. Und eine Eingebung des Heiligen Geistes, die
wurde in Klein-Vorderoelde-Ost allemal gerne gesehen. Damit lagen wir voll im Trend,
will sagen innerhalb der Zielgruppe. Die Quote war ordentlich an diesem Sonntag, was
will man als Medienmensch mehr.
Copyright:Sigrid Jo Gruner
Abdruck nicht ohne Abstimmung mit der Autorin
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Bildnachweis: Stocknap.io
Insel im Meer: Aaron Burdon
Antike Klavier Tastatur: Skitter Foto
Schiff vor Freiheitsstatue: Justin Leibow
Puppe: Gary Bendig
Sigrid Jo Gruner unterstützt als "MissWord! Manufaktur für das wirksame Wort" Unternehmen und Selbstständige bei ihrer Positionierung und Unternehmenskommunikation. Schwerpunkte: Strategische Beratung, Branding, Konzeption & Redaktion, PR- & Magazintext, Web-Content, E-Book & Corporate Book. Und 24-jährige Erfahrung.
Schwerpunktthemen: Alles was gut schmeckt, schön aussieht, sinnvoll ist & glücklich macht. Gesellschaftspolitische und Zeitthemen, komplexe B2B-Themen, Food, LifeBalance und Persönlichkeitsentwicklung, Marketing-, Manager- und Businesswissen.
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