Sonntag, 12. Juli 2015

Sonntagsthema: Vielzahl macht noch keine Vielfalt



Hab ich eine eigene Meinung und wenn ja, welche? Und von wem?


Die aktuellen Fusionsgelüste der drei Lokalgrößen auf dem Berliner Print-Abo-Markt – auf dem nur noch 250.000 von 3,5 Millionen Einwohnern eine Tageszeitung im Abo lesen – sprechen für sich. Vorerst soll zwar nur das Abo-Geschäft betroffen sein, die Redaktionen bleiben unangetastet, gemeinsam will man neue Abonnenten aus Nicht-Lesern zu einem Lesemarkt schmieden. Redaktionelle Gleichschaltung sei dies noch nicht. Wäre eine solche denn zu befürworten? Ganz sicherlich nicht. Aber wie ist die Echtsituation? Unterscheiden sich Berliner Morgenpost, Tagesspiegel und Berliner Zeitung noch wirklich? Ja, schon, aber die Leser scheinen es nicht zu merken oder nicht wertzuschätzen. Was ist mit der Vielfalt der differenzierten Meinungsbildung passiert?

Willkommen schöne alte, neue Medienwelt 


Im aktuellen Journalismus scheint sich derzeit alles neu zu erfinden, vor allem in den USA, die schon immer Vorreiter in innovativem Journalismus waren. Die freie Auslandskorrespondentin Pauline Tillmann hat eine Vielzahl an Trends ausgemacht: Hyperlokale Blogs (die Lokalzeitungen obsolet machen), Paid Content (ja, doch), Native Advertising, Stiftungs-Journalismus, Datenjournalismus, Mobile Reporting (kann irgendwie jeder), Unternehmen, die ein eigenes Medium werden. Multimedia gehört die ganz nahe Zukunft. Gleichzeitig meldet das Wirtschaftsmagazin BrandEins, dass schreibenden Robotern die Zukunft gehöre (schon jetzt gängige Praxis bei Routineaufgaben wie Sportmeldungen und Börsentickern).

Zur selben Zeit fordert der Medienexperte Bernd Gäbler die Öffentlich-Rechtlichen Fernsehanstalten auf, die Zahl ihrer Politmagazine einzuschränken, da sie nur noch über wenig politischen Nutzwert verfügten und sich mittlerweile auf Verbraucherthemen konzentrierten.  Die Diskussion von gesellschaftspolitischen Trend oder gar "den Mächtigen unbequem werden?": Beides Fehlanzeige.

Ein buntes Potpourri aus Medienmeinungen in der vergangenen Woche. Wie bringt man das alles zusammen? Vielleicht mit einer grundlegenden Überlegung: Im allgemeinen News-Hype, zeitgleich, gefühlsecht, massenhaft und viral verbreitet, kaum noch gewichtet in Bedeutung, Relevanz oder Konsequenz, in der Konzentration auf Nachrichtenwert und Echtzeit-Novität gerät eine andere Sicht von redaktioneller Pflichtübung aus dem Blickfeld, die mindestens genauso wichtig ist wie der öffentlich-rechtliche Informationsauftrag: Meinungsbildung.

Das ideale Paar: Kaffee & Zeitung

Jemandem die Meinung geigen...


Neben der tatsachenbetonten Nachricht, Meldung, Berichterstattung, dem Nutzen- und Handlungs-Journalismus (Ratgeber, Magazin, Verbraucherthemen) und dem persönlichen Augenschein (Reportage, Interview) hat Qualitätsjournalismus eine weitere wesentliche Funktion: Klar Haltung beziehen in Kommentar, Glosse, Kritik, Wertung und Meinung. Der Leser wünscht sich nicht nur Information und Wissen. Erfahrung ist ihm mindestens genauso wichtig. Nicht ohne Grund sind Meinungsführer wie das Editorial, der Kommentar, der Leitartikel wesentlicher Bestandteil der traditionellen Tagestitel. Oder waren sie es bereits??

Die Tagesmedien scheinen immer unpolitischer zu werden, genauso geht es dem Mann auf der Straße, diskutiert er noch oder schläft er schon? Am sogenannten Stammtisch wird sicherlich noch trefflich über Politik gestritten, im Kabarett nimmt man aber längst bevorzugt Haartracht oder Figur führender Persönlichkeiten aufs Korn. Um die Vielfalt der individuellen Leit-Meinungen, die zur Meinungsbildung des Einzelnen führt, scheint es schlecht bestellt.

Dabei wissen gerade wir Deutschen ziemlich gut, was eine Gleichschaltung von Medien und Meinung bewirken kann. Oldschool scheint es zu, wenn ich bekenne, dass ich mir bereits früh über eine Vielfalt an Medien, zu denen wichtige überregionale Tageszeitungen, polarisierende Wochenmedien, TV-Politik- und Satire-Magazine gehörten, ein differenziertes Bild machte und schlussendlich auch eine eigene Meinung bildete – ob sie nun ausgereift war oder nicht. Das nannte man auch Orientierung. Anderen gab der Glaube Richtung, ich fand sie bei den Medien.

Heute erleben wir Leipziger Einerlei, inszenierte Fotos aus Krisenherden und internationalen Brennpunkten, gestellte Posen von Verhandlungstischen, un-spontane Interviews zwischen ausgestopft wirkenden Partnern, vorproduzierte und abgesprochene Einheits-Kommentare, Moderaten, die über das Knöpfchen im Ohr vom Experten hinter den Kulissen durch die Talkshow gelotst werden.

Erinnern wir uns noch an Nikita Chruschtschow, der mit seinem eigenen Schuh bei der UN-Vollversammlung auf den Tisch hämmerte, um Protest anzuzeigen? An den Kanzler der Einheit (jaa, doch), der einem Diskutanten handgreiflich an den Kragen wollte? An Herbert Wehner, der sich das eine oder andere Mal in der Leidenschaft der Rhetorik schwerwiegend im Wort vergriff aber dennoch keine oder wenige Beleidigungsklagen erhielt? An Willy Brandt, der seine menschlichen Schwächen keineswegs verdeckte? An amerikanische Präsidenten, von denen öffentlich wurde, dass sie ähnlichen Schwächen nachgaben? Oder sie mit Psychopharmaka beschwichtigten? An russische Doppelgänger, die je nach Bedarf für das schwächelnde Unikat eingesetzt wurden? An einen Potentaten aus dem Süden der Republik, der sich nicht scheute, Journalisten als Geschmeiß zu bezeichnen und ein Nachrichtenmagazin durchsuchen ließ?

Das war doch immerhin noch Futter für Intellekt und Gemüt.

Und heute? Was für ein Niedergang. 


Was wir erlebten, war munteres Polittheater. Das beseelte, rüttelte auf, amüsierte, polarisierte. Heute erleben wir Politikverwaltung. Die heutigen (politischen) Medien und Talkshows können gar nicht anders sein als so wie sie von uns wahrgenommen werden. Lahm. Warmduscher fast alle. Ihnen fehlt einfach der Stoff aus dem Politmagazine sind. Die kantigen, grantigen, kolossalen Protagonisten, die als Menschen aus Fleisch und Blut und nicht als Stockpuppen das Theater bespielen. Die Haltung beziehen und nicht nur verlautbaren. Das bisschen Grexit geht ja auch vorbei. Was sollen die armen Kerle in den Politmagazinen machen? Lassen wir sie in Frieden.

Doch woher nehme ich nun meine Meinungen? Sei’s drum – Ich bild' mir einfach meine eigenen. - Dabei fällt mir auf, dass ich heute offenbar das Thema zwar nicht ganz verfehlt, aber wohl nur umrundet habe. Keine Frage: Mir fehlen Vorbilder. Oder ist es einfach zu heiß? – Ach, bilden Sie sich doch Ihre eigene Meinung ;)


Kurz in eigener Sache:
Es gibt wider kürzliche eigene Aussage doch wieder das Sonntagsthema - und vorerst kein "Montag um 9" - Man kann ja mal seine Meinung ändern, oder??



Bild:  Thinkstock by Getty Images, Ingram Publishing

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