Samstag, 28. Januar 2017

Samstagsstory: Hans und das Glück


Einmal mehr fragen wir uns: Was ist Glück?

Hans hatte schon öfter seine goldene Taschenuhr verloren, aber sie jedes Mal wie durch ein Mirakel ohne besondere Anstrengungen wieder gefunden. Nicht, dass das einer besonderen Kausalität unterlag, er hatte einfach nur Glück. Er hätte genauso gut einen Lastwagen oder Elefanten verlieren können, auch den hätte er wiedergefunden. Hans war ein Glückskind. Die Dinge gelangen ihm einfach. Er fragte nicht nach, warum. Das war vermutlich die Ursache seines Glücks. Er zweifelte nie, hinterfragte nichts, entschuldigte sich niemals. Skepsis hielt er für verfänglich wie Spinnweben an einem lauen Sommerabend in der Laube, wenn er Sabines Rücken mit einer mückenabweisenden Salbe einrieb, die nach Ringelblumen, Wegwurz und Knöterich roch. Woher er die Gerüche so gut identifizieren konnte? Konnte Hans auch nicht erklären. Das war eben so. Das flog ihm zu. Ein Glückskind eben. 


Als Hans eines Tages in der 10.000-Euro-Frage einer Fernsehshow den Namen des ersten Präsidenten der Republik Backwagi nach dem Zweiten Außerirdischen Krieg nennen sollte, verweigerte sich ihm das Glück. Von da an wollte Hans nichts mehr gelingen. Er kaufte sich eine Pistole, da er kein Vertrauen mehr in das Leben besaß. Aber die Kugel verklemmte sich im Lauf. Pech, sagte Hans und stürzte sich in schwere Depressionen, aus denen er bis zu seinem Lebensende nicht mehr auftauchen sollte. Keiner vermisste ihn wirklich, doch hielt sich das Glück seinem Dorf seitdem fern. Den Bewohnern war es gar nicht bewusst, denn zum Glück waren sie fast allesamt ganz und gar unempfindlich gegenüber seelischen Regungen. Nur manchmal meinte der eine oder andere: "Hans - war das nicht der, der immer so viel Glück hatte?" 

Selbst Hans' Begräbnis war ein Fiasko. Der greise Pfarrer hielt eine Taufrede, und die angetrunkenen Sargträger kippten den Sarg kopfüber in die Grube. Das war Glück, denn im Aufprall öffnete sich der Deckel und man erkannte, dass man den falschen Mann begraben hatte. Hans selbst war mit der Portokasse des Altersheimes „Flüsternde Pinie", wo er als Kriegsveteran untergekommen war, längst über alle Berge verschwunden mit Ziel Amerika, wo er sein Glück in Las Vegas versuchen wollte. Allerdings wäre es nützlicher gewesen, er hätte den Weg über den Atlantik gesucht, denn auf dem Gipfel der Berge, möglicherweise auf dem Matterhorn, verloren sich seine Spuren endgültig im ewigen Gletschereis. Tja, Pech eben.



Bildnachweis: Ricardus, Stocksnap.io

----------------------------------------------------------------------------------------------------Autorin, Journalistin, Imagetexterin & PR-Beraterin Sigrid Jo Gruner schreibt als MissWord! Webcontent, Magazin, Pressetext, Unternehmenspublikation, als Ghostwriterin Reden, Artikel und Bücher. In Strategieworkshops entwickeln Unternehmen und selbstständige Freiberufler mit MissWord! stimmige Positionierungen, Kernaussagen, Business- und Imagetexte und passgenaue Corporate Words. 

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