Samstag, 11. Mai 2013

.. Folge 3 von "Die Nachmittage mit Max"

Wir erinnern uns: Gerade hat es bei Max geläutet - er erwartet Mathilde  ...



Max schnaufte, grinste, strich sich über die Weste, die ein wenig spannte, sodass er den Bauch einzog und sich mit einem straffenden Ruck durch den Kugelkörper in jugendliche Dynamik versetzte. Mit großem Schwung riss er die Wohnungstür auf, als wollte er die ganze Welt hereinlassen, und da war Mathilde, errötend, weich, lockig und lockend. Kommen Sie rein, meine Liebe! Max ergriff ihre mollige Hand und zog sie in den dämmerigen Flur. Halt, noch meine Tasche, Mathilde war ein wenig aufgeregt. Richtig! Max holte auch das Gepäck herein. Was bringen Sie heute Schönes mit? Seine Augen funkelten. Wird noch nicht verraten.. Mathilde kicherte und hielt sich die Hand vor den Mund. Max ließ ihr den Vortritt, um ihr auf das Hinterteil im engen Volantrock starren zu können. 
Dann saßen beide auf der Couch und hielten sich an den Händen. Die Luft knisterte und aus dem Fernseher stöhnte es. Die ersten Bilder waren noch zum Eingewöhnen, aber als die gurrenden Laute der schwer arbeitenden Darsteller anschwollen, drehte Max den Ton lauter. Denn beide hörten ein wenig schwer und wollten sich nichts entgehen lassen. Später durfte Max ganz eng an Mathildes pralle Hüftpartie heranrücken und seine Hand ein wenig tiefer von der Schulter rutschen lassen, während ihre zärtlichen Finger an seiner Brust kraulten. 
In Mathildes Reisetasche gab es Vorrat für lange Stunden, den sie meist nicht aufbrauchten, weil sie sich bei ihren Lieblingsszenen aufhielten. Erst als Max spät am Abend ernsthafte Ermüdungserscheinungen zeigte und Mathilde neben einem schnarchenden Kahlkopf die letzten Zuckungen der Paare auf dem Bildschirm allein genießen mußte, war der Abend zu Ende. Max rief Mathilde ein Taxi, bedankte sich artig für ihren Besuch und begleitete sie zur Tür, nicht ohne einen neuen Termin in drei Wochen festzulegen.
In der Videothek am Steinplatz nahe dem Rotlichtviertel kannte man Mathilde gut. Keiner ging so sorgsam mit den Ausleihen um, war so pünktlich in der Rückgabe. Allerdings sah man sich bald genötigt, den Bestand aufzustocken, denn Mathilde war sehr anspruchsvoll. 

Eines Nachmittags im Herbst wartete Max zur verabredeten Zeit vergeblich, seinen Blick immer auf den vorrückenden Zeiger der Wanduhr gerichtet. Als Dämmerung in das einsame Wohnzimmer fiel, gab Max auf, warf das Sakko ab, krempelte die Ärmel hoch und stellte den Fernseher an. Nachrichten, Vorabendserie, Tagesschau. Zunehmend gereizter durchsuchte er den Inhalt seines Kühlschranks und hielt sich lange bei den Bierdosen auf. 
Als er spät am Abend im Fernsehsessel hoch schreckte, galt sein erster Gedanke Mathilde. Nie war sie unzuverlässig gewesen, immer hielt sie die verabredete Zeit ein. Hatte sie ihn verlassen? Nun Unsinn, davon konnte ja eigentlich keine Rede sein, ihr Verhältnis war innig, aber gleichzeitig auch distanziert. Max fiel auf, dass er nichts von Mathildes Leben wußte, nur ihren Nachnamen: Billerbeck. Mathilde Billerbeck. Und dass sie im Schanzenviertel wohnte. Dass sie früher einmal Verkäuferin war. Mehr nicht. War auch bisher nicht von Belang gewesen. 
Max stemmte sich hoch und tappte zum Telefon. Unter dem Apparat klemmte das Nummernverzeichnis, er zog es mit einem Ruck hervor, der Hörer fiel von der Gabel, das Freizeichen surrte, dann suchte er nach Billerbeck. Es gab nicht viele, Gott sei Dank. Einen Alfons Billerbeck, Unsinn, eine Martha, einmal Prof. Dr. Volker und Sylvia, und einen Eintrag schlichtweg Billerbeck, Schanzenstraße 14, den Max sorgfältig auf einen Papierzipfel aus der Tageszeitung schrieb um danach sofort zu Bett zu gehen. Nicht einmal das Gebiß nahm er raus. Er war einfach zu aufgewühlt für solche Äußerlichkeiten.
Nach einem schweren, von wüsten Träumen durchpflügten Schlaf machte er sich am Morgen sorgfältig zurecht. Nahm sich sogar eine gepunktete Fliege, einen Schal, die feinen Handschuhe aus Kalbsleder. Draußen frischte es auf. Windböen trieben Menschen über den Gehsteig. Max zog sich den Hut in die Stirn und eilte zur Straßenbahn. 
In der Schanzenstraße erwarteten ihn unauffällige, grau gebeugte Häuserfronten, ein Viertel der kleinen Handwerker und Krämer, ein wenig vernachlässigt und offenbar vergessen von der Stadtreinigung. Max stand geraume Zeit auf der Straßenseite gegenüber der Nummer 14. Er zögerte, rieb seinen Rücken am grobkörnigen Putz der Hauswand. Akkorde dröhnten in seinem Kopf. Dann rückte er die Fliege zurecht, strich am rauhen Wollstoff des Mantels entlang und überquerte die Straße. Da er die Haustür offen fand, stieß er sie heftig bis zum Anschlag auf und überquerte den Innenhof. Billerbeck – das war im dritten Stock. Kein Fahrstuhl. Die Treppe im Hinterhaus hing durch und vom Geländer platzte ochsenblutroter Lack. Das Haus stand still, ein paar Töpfe klapperten im Erdgeschoss, eine schrille Stimme rief nach Felix. Eintopfgeruch, säuerlich.
Vor der Wohnungstür mit dem schmalen Schild Billerbeck hielt Max inne und horchte, innen kein Laut. Max läutete. Sofort schlurften Schritte, kamen langsam näher. Als sich die Tür öffnete, war Max, vor seinem eigenen Mut erschrocken, nahe dran, sich schnell davon zu machen. In der Fluchtbewegung sah er zurück auf einen kleinen, mageren Mann mit dünnem, nach hinten gekämmten Haar und mehrfach gefaltetem Gesicht. Er trug Schwarz, alles an ihm war schwarz und grau. Er wisperte: „Bitte?“ 
Max machte zwei Schritte auf ihn zu und fragte: „Ach, verzeihen Sie, ich bin sicher falsch. Ich dachte, hier gäbe es Mathilde Billerbeck.“ ....

Wie geht's weiter? Morgen wissen wir mehr.




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