Pauls Fest II
So geht's weiter mit Paule, der in seiner Dachwohnung auf Weihnachten wartet. Erinnern wir uns: Paul hat gerade die Paketbotin gefragt, ob sie auf ein Glas Grog hereinkommen wolle. Sie zögerte einen Moment, musterte ihn ausgiebig ..
... dann sagte sie gedehnt: „Ach Gott, warum nicht.“
Was Heisses braucht der Mensch im Winter: Grog oder Glühwein - das ist hier die Frage |
Als sie gemeinsam in der abgewetzten Sitzgruppe saßen und den Grog schlürften, den Paul ordentlich stark gemachte hatte, fiel ihnen erst kein Gesprächsstoff ein. Paul räusperte sich und begann als erster: „Haben Sie denn Familie?“ - „Ach nee, dazu habe ich es nicht gebracht!“ - „Na ja, muss ja auch nicht, erspart einem vielleicht Ärger.“ Paul senkte den Kopf, beide schwiegen wieder. Paul rührte im Grogglas. Die Paketbotin hatte ihre Diensttasche abgelegt. Unter ihren Stiefeln begannen sich kleine Wasserpfützen auf dem Teppich zu bilden. Gerade an den abgetretenen Stellen. Im Raum war es jetzt mollig warm. Die Fenster beschlugen. Paul stand auf und stellte den Plattenspieler an. Auf dem Teller lag die einzige Platte mit Weihnachtsmusik, die er besaß. Sie war verkratzt, aber wenn man den Ton nicht zu laut stellte, klang sie noch ganz ordentlich. Kinderchor, Blechbläser, Tannenbaum.
Dann saßen sie sich gegenüber und machten ganz zufriedene Gesichter. Paul zündete die Kerzen auf dem Tannenzweig an. Draußen wirbelten Flocken gegen das Fenster. Mit einem Mal stemmte er sich vom Sofa hoch. Man hörte ihn in der Küche klappern, dann kam er mit einem Teller voll Stollen zurück. „Kein Mutzenbrot, aber auch gut“, sagte er. Beide griffen zu und bissen ab. Staubzucker wehte über die Tischplatte, Teigkrumen bröselten. Paul hielt die Hand unter den Stollen und kaute vorsichtig. „Mit meinen Zähnen steht es nicht zum Besten.“ - „Na, und ich hab Rheuma. Kommt von der Zugluft im Postauto.“ – Nach einer Weile Schweigens lehnte Paul sich zurück und grinste breit: „Verrückte Sache, was?“ Lina nahm ein zweites Stück. Im Zimmer breitete sich Tannenduft aus.
Danach kochte Paul Kaffee. Genauso stark wie den Grog. Nach zwei Tassen fiel Lina ihr Postwagen ein: „Nun muss ich mal los, wird ja schon dämmrig.“ Der Kinderchor machte Pause. Paul begleitete sie zur Tür. Lina schulterte ihren Beutel, Paul half nach. „Komm doch mal wieder“, meinte er eher beiläufig. Seine Stimme klang jetzt ganz anders. „Klar, beim nächsten Paket.“ - „Na, damit ist jetzt wohl Schluss.“- „Man soll nie nie sagen!“, erklärte Lina streng und zwinkerte. - „Frohes Fest.“ Vom Treppenabsatz winkte er ihr nach. Gerade läuteten die Glocken zur Christmette.
Paul brachte die Platte neu in Fahrt und ging ins Bad. Dort besah er sich im Spiegel, griente sich zu und schabte über seine Bartstoppeln. Dann kramte er das Rasierzeug aus dem Wandschrank. Eingeschäumt sah er aus wie der Nikolaus.
Ende
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