Samstag, 30. August 2014

Wochenendgeschichte: Der Fahrstuhl



Ole linste durch das Treppenhaus. Kein Laut. Er war stolz auf sich. Berta hatte ihn ja immer gehänselt, aber er hatte sich getraut, sein erster Bruch. Ja, was blieb ihm übrig? Job war weg, auf dem Sparkonto nix zu holen und die Monatsraten im roten Bereich. Und bald war Weihnachten und da wollte Berta es gemütlich haben.

Gut, er war vielleicht nicht der Stärkste, aber er war schlau. Das Haus hatte er schon ein paar Tage im Blick gehabt, die Leute im Dachgeschoss - Schulze mit Namen - gingen regelmäßig um 10 Uhr aus, ein angejahrtes Paar mit Dackel und Einkaufsnetz. Dann blieben sie eine Zeitlang weg. Sie sahen aus, als ob das eine oder andere bei ihnen zu holen wäre, ohne dass es sie zu sehr schmerzte.

Also, rein ins Haus, Scheckkarte gezückt, und die Tür war auf. 

 Unvorsichtig die Leute. Ole sah sich um. Kronleuchter, Bücherschrank, Nippes. Reizte ihn alles nicht. Aber der Teppich, ein Perser, nicht groß, gerade richtig für Oles gute Stube. Er rollte ihn auf. 
Ole war schon auf dem Rückzug, als sein Blick auf einen Fernseher fiel, einen von der schicken flachen Sorte, die man sich wie einen van Gogh an die Wand hängt. Donnerwetter, das war‘s doch. Berta würde staunen. Musikantenscheune ab heute nur noch in Cinemasope.

Als Ole seine Beute keuchend in den Aufzug wuchtete, klappte unten die Haustür. Das Haus hatte sein Alter, der Fahrstuhl auch. Der Kabinenboden hing durch und schwang wie ein Trampolin. Ole drückte hektisch mehrere Messingknöpfe gleichzeitig, als könnte er dadurch schneller vom Fleck kommen. Der Aufzug ruckte an, sank ein paar Meter und stand still. Auch massives Klopfen auf das Klingelschild brachte ihn nicht weiter. Von unten drangen laute Rufe herauf: „He, was ist da oben los?“ Ole musste antworten, ob er wollte oder nicht.

Das dauerte vielleicht, bis der Hausmeister den Fahrstuhl wieder zum Laufen brachte. Als Ole unten ankam, wurde er von den Hausbewohnern mit Beifall erwartet. Man klopfte ihm auf die schmächtigen Schultern, bis er einknickte und flößte ihm Kaffee ein. Ole hatte schlappe Knie. Schweiss klebte in seinen dünnen Haaren. Er versuchte den Teppich zu schultern, in dem er den Fernseher transportierte und sich davon zumachen. 

„Das schaffen Sie nicht allein, junger Mann“, sagte Herr Schulze, der gerade mit seiner Frau vom Einkaufen kam. Er packte mit an, sie hielt die Haustür auf. Zu zweit verstauten sie Teppich und Fernseher in Oles klapprigen Kombi. Ole bedankte sich artig. Beim Wegfahren holte er mit zitternden Fingern eine Zigarette aus dem Handschuhfach und atmete tief durch.

Schulzes sahen Ole nach: „Nervös, der Junge." Dann fuhren sie nach oben. Auf dem Treppenabsatz drehte Frau Schulze sich zu ihrem Mann um: „Komisch, fiel dir nicht auf, dass er denselben Fernseher hatte wie wir?“ - „Ach Unsinn“, brummelte er, „die sehen doch heute alle gleich aus", und bewegte seinen Schlüssel in Richtung Schloss, bis er bemerkte, dass seine Wohnungstür bereits weit offen stand.

Copyright: Sigrid Jo Gruner, alias MissWord!

Warum diese Geschichte? Tja, das Leben schreibt bekanntlich die besten Stories.

Ich blieb nämlich kürzlich selbst im Fahrstuhl stecken und es dauerte eineinhalb Stunden bis man mich befreite. Es war stickig, muffig, eng, auf dem schmuddeligen Boden stand eine undefinierbare Pfütze und die Notglocke lief ins Leere (es war nach 22.30 h) - ganze 20 Minuten lang, bis ich aufgab. Die Polizei - erfreulicherweise funktionierte das Mobile - rüttelte etwa 30 Minuten, nachdem ich sie gerufen hatte, den schlafenden Nachtwächter des Parkhauses aus dem Schlummer, aber er war unfähig, das Ding zum Laufen zu bringen. Mittlerweile war ich ziemlich schlecht gelaunt, kleine aufmunternde Rufe der wirklich netten Polizisten halfen nicht wirklich. Bis man den Schlosser, der den Aufzug mit zwei, drei Griffen wieder in Fahrt brachte, aus dem Bett geholt hatte, dauerte es weitere 40 Minuten. 

Da hatte es Olé aus der Geschichte (s.o.) doch wesentlich besser. - Na ja, eigentlich auch wieder nicht :-)




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